ich lass dich im alten jahr

Mein Geschrei bringt gar nichts. Ich brülle mir fast die Seele aus dem Leib, aber meiner Person wird nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt. Ich darf wieder einmal dabei zusehen, wie ihr euch gegenseitig die Fressen einschlagt. Wegen mir. "Könnt ihr euch wenigstens einmal nicht wie totale Arschlöcher benehmen?!", meine Stimme ist vom Schreien ganz heißer, alle Kraft ist aus meinem Körper gewichen. Ich fühle mich einfach nur noch unendlich müde, will eigentlich nur noch weg. Lukas scheint genug von euch zu haben, er reißt euch gewaltsam auseinander und drängt sich zwischen euch. "Okay, Ladies, Schluss jetzt mit dem Scheiß. Ihr benehmt euch wie Kindergartenkinder", er packt dich an den Schultern und sieht dir fest in den Augen, "Jus, was machst du? Ich weiß zwar nicht, was das alles hier soll, aber es gefällt mir nicht. Wäre vielleicht mal ganz geil, wenn du dich mal entscheidest. Entweder die Schlampen oder deine Freundin. Aber du kannst nicht erst mit irgendeinem Weib rummachen und dann hier so eine Szene abziehen, nur weil dir nicht in den Kram passt, dass... ja, was eigentlich? Was passt dir nicht, mh? Dass Mel und Jakob befreundet sind?!" Du reißt dich von ihm los und stößt ihn weg, "Erstens habe ich mit niemanden rumgemacht und zweitens wüsste ich nicht, was dich das angeht. Und wenn du's so genau wissen willst: Er liebt sie." Lukas zieht überrascht eine Augenbraue hoch, sieht mich verblüfft an, "Im Ernst?" Ich erwidere nichts, der Kloß in meinem Hals macht es mir unmöglich, etwas zu sagen. Alles um mich herum dreht sich, ich würde am liebsten einfach nur wegrennen. "Wie auch immer", fährt er fort und sieht Jakob an, "Sieh zu, dass du Land gewinnst. Wenn ich noch einmal sehe, dass ihr euch prügelt", jetzt sieht er zu dir, "Dann haben wir mal Spaß miteinander. Mal im Ernst: Seid ihr so blöd oder tut ihr nur so? Damit werdet ihr Mel ganz bestimmt nicht bekommen, damit verliert ihr sie nur." Ich weiß nicht warum oder wo das plötzlich herkommt, aber ich fange auf einmal an zu weinen. Die Tränen laufen unaufhörlich meine Wangen herunter, ich bekomme mich überhaupt nicht mehr ein, obwohl ich gar nicht traurig bin. Ich halte mir die Hand vor den Mund, um, vergeblich, das laute Schluchzen zu unterdrücken. Drei Augenpaare ruhen auf mir und mustern mich geschockt, wissen anscheinend gar nicht, was sie zu meinem idiotischen Gefühlsausbruch sagen sollen. "Mel?", fragst du irgendwann und berührst mit einer Hand meinen Arm, ein angenehmer Stromschlag durchfährt mich. "Alles okay mit dir?" "Nein", krächze ich, "Nichts ist okay." Ich schüttele deine Hand ab. "Was hast du?", deine Hand wandert zu meiner Wange. Ich schrecke vor deinen warmen Fingern zurück, "Was ich habe? Geht's noch? Ihr macht mich fertig, Justin, ihr beide. Ich will das nicht mehr, ich kann das nicht mehr." Ich fange wieder an zu weinen und setze mich auf den eiskalten Boden unseres Schulhofs, lehne meinen Kopf an die dreckige Fassade und schließe die Augen. "Melli...", ich höre Jakob ganz in meiner Nähe, aber ich will ihn jetzt nicht sehen, ich will, dass er geht. "Verschwinde. Bitte", sage ich in die Luft, aber er weiß, dass er gemeint ist.  Als er weg ist, setzt du dich neben mich auf den Boden, unsere Arme berühren sich ein wenig, ich öffne die Augen. Lukas ist auch weg, wir sind allein. "Baby, hör bitte auf zu weinen." Dieses 'Baby' wieder einmal aus deinem Mund zu hören, bringt mich nur noch mehr zum Schluchzen. Ich finde mich einfach nur noch unendlich peinlich, stütze meine Arme auf die Knie und presse mein Gesicht in meine Handflächen. "Bitte, bitte, geh", wimmere ich. Du schiebst deine Finger unter meine Haare, an meinen Nacken, ziehst mich zu dir heran. "Geh bitte", schluchze ich fünfmal in deine Jacke, bis du mir den Mund zuhältst und mein Gesicht anhebst. "Einen Scheiß werd ich, Schatz." Arschloch, denke ich, süßes süßes Arschloch, als sich unsere Blicke begegnen. Ich will gerade damit anfangen, dir zu sagen, was ich von deinem Verhalten in den letzten Tagen halte, als du meine Lippen mit einem Kuss versiegelst.