#71

"Benimm dich", knurrt meine Mutter, "Ich will mich nicht vor unseren Verwandten schämen müssen." Ich verdrehe nur genervt die Augen, ich würde eigentlich lieber sterben, als diesen Abend mit meinen Verwandten zu verbringen. Vor sich hinbrummelnd verschwindet sie ins Bad, kurz darauf klingelt es und ihr neuer Penner steht vor der Tür, ich knalle sie wieder zu. 
Meine Tante um tausend Ecken, eine überaus füllige Frau mit Pferdefresse und mein Onkel, ein ebenfalls runder, kleiner Typ mit fettigen Haaren und Schweine-Lachen, betreten zusammen mit ein paar anderen den Raum. "Sophié!", quietscht Pferdefresse und fällt mir um den Hals, würde mich fast mit ihren Massen erdrücken und mit ihrer Stimme mein Trommelfell platzen lassen, wäre ich nicht schon dank ihres Parfüms einem Ohnmachtsanfall nahe. "Das ist Melissa", höre ich meine Mutter sie plötzlich verbessern, "Sophié ist dort drüben." Sofort werde ich aus der Umklammerung entlassen und falle schon nach Luft schnappend in die Richtung meines Onkels. Er drückt mit seiner schwitzigen Hand meine, schüttelt sie heftig. "Hallo Melanie, lange nicht gesehen", sagt er, ohne meine Hand loszulassen. "Melissa", verbessere ich ihn murmelnd. Ich will mich gerade darüber freuen, dass mir wenigstens diesmal eine unangenehme Umarmung erspart bleibt, doch natürlich werde ich enttäuscht. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie schafft er es, mich in seine Arme zu drücken, ohne meine Hand loszulassen. Als ich den Gestank von Frittenfett wahrnehme, der von ihm - oder seinen Haaren - ausgeht, kommt mir alles hoch. Verzweifelt halte ich die Luft an und versuche vergeblich, mich aus seiner Umarmung zu befreien. Als er mich endlich loslässt, sacke ich fast zusammen, solange habe ich nicht geatmet, aber du hältst mich von hinten fest. Ich werfe dir einen HolmichhierrausoderichspringevomHausdach-Blick zu, doch schon zerrt mich meine Mutter von dir weg zu den anderen Gästen. Ich sehe dich noch einmal hilflos an, doch du lächelst mir nur aufmunternd zu. Ich werde noch ein paar mal wie ein Weinglas 'herumgereicht' und finde mich irgendwann neben dir am Tisch wieder. Du drückst meine Hand und streichelst mir übers Knie, als Speckhaar einen schlechten Witz erzählt, um anschließend mit seinem Schweine-Lachen loszulegen. Ich spiele, genau wie alle anderen, Belustigung vor, doch mein Lachen klingt mehr hysterisch als alles andere, was mir ein paar verwarnende Blicke meiner Mutter einhandelt. "Willst du noch Soße, die ist wirklich scharf?", fragt meine Mutter Speckhaar überfreundlich und hält ihm eine Schüssel mit wiederlicher Soße hin. "Immer her damit! Ich mag es scharf", grunzt er letzteres und zwinkert meiner Perdefressen-Tante zu, welche sich gerade ein fettes Stück Fleisch in den Mund steckt. Sie kichert nur geschmeichelt und läuft rot an, bis sie dann irgendwann einer Tomate ähnelt. Ich unterdrücke einen Würgereiz und verziehe nur angewiedert das Gesicht. "Nimm lieber was von den Klößen, auf fettige, runde Sachen scheinst du ja eher zu stehen", sagt ein Mann am anderen Ende des Tisches und sieht meine Tante an. Alle außer mir sehen ihn entsetzt an. Als unsere Blicke sich begegnen zwinkert er mir lachend zu. Erleichtert stelle ich fest, dass der Humor in unseren Genen doch nicht vollkommen verloren gegangen zu sein scheint, auch wenn ich schon lustigere Sachen gehört habe, und zwinkere zurück.
Ich spüre, wie mir immer schlechter und schlechter durch das ganze Fleisch um mich herum wird, und mein Magen zieht sich zusammen. Natürlich hat keine Sau hier im Raum daran gedacht, dass ich Vegetarierin bin und schlägt sich getrost den Bauch voll. Nicht, dass ich was essen wollte - bloß nicht, bei dem blosen Gedanken an meine "Familie" wird mir ja schon schlecht. Und da ich eh schon an die Ignoranz der gesamten Menge gewöhnt bin, betrachte ich nur stillschweigend meine Hände, die unter dem Tisch mit deinen verschränkt sind. "Ich bin satt", nuschle ich und stehe auf. "Du bleibst hier", murrt meine Mutter und sieht von ihrem Teller auf. "Jaja", motze ich, "Ich will nur was holen." Ich werfe dir einen vielsagenden Blick zu und verschwinde schnell in Richtung Flur. Dankbar für die Stille verstecke ich mich in unserer dunklen Speisekammer, spähe durch einen dünnen Spalt in den spärlich beleuchteten Flur, falls jemand von meinen ach so geliebten Verwandten auf die Idee kommt, mich zu suchen. Kurze Zeit später kommst du ebenfalls in den Flur, ich öffne die Tür ein Stückchen und flüstere deinen Namen, damit du mich mitbekommst. Du kommst näher und ich ziehe dich zu mir in die Dunkelheit, schließe die Tür hinter uns. "Das ist ja schlimmer, als ich gedacht hätte. Du hast wirklich nicht untertrieben", flüsterst du. "Du hast ja keine Ahnung", schnaube ich und suche nach deiner Hand, ziehe dich an mich, als ich sie finde, "Am liebsten würde ich hier drin bleiben." Du schlingst deine Arme um mich, "Das schaffst du schon. Du musst doch einfach nur nicken und lächeln, es spricht dich schon keiner mehr an." Ich verziehe das Gesicht, auch wenn du es nicht sehen kannst, "Ich hoffe es." Irgendwie findest du in der Dunkelheit mein Gesicht, drückst mich gegen das Regal hinter uns und küsst mich. Ich ziehe dich näher an mich heran, muss mich aber schon wieder von dir lösen, als ich ein schrilles "Melissaaaaaa", aus dem Flur höre. 
Fluchend trotte ich zurück. Wie ich das alles hasse.

13 Kommentare:

losted hat gesagt…

ich hab meinen abend gestern ganz ähnlich verbringen müssen -.- ♥

Nevin hat gesagt…

dankesehr :*

Pseudovision hat gesagt…

gott sind solche verwandtenbesuchsundgemeibsamessen- aktionen hässlich. vorallem, wenn du diese personen auch noch hasst. und deiner beschreibung nach, ist das sogar verständlich! :o

süüüße? hast du meine nachricht im face bekommen? du antwortest nämlich gar nicht mejr. :c alles gut bei dir? :*

herz an dich & fühl dich umarmt. :*

Vιvιєɴ ღ hat gesagt…

... Was für eine Verwandschaft :o du arme !!!
Zum Glück, hattest du ja deinen Freund bei dir (;

Vιvιєɴ ღ hat gesagt…

hmh okey (;

Lili hat gesagt…

uff uff uff...
klingt anstrengend! aber ich mag deinen schreibstil :)
<3
wird schon werden!

Lisa Maria hat gesagt…

Du Arme,wenigstens warst du ja nicht die einzigst normale dort.(;
Ich mag deinen Schreibstil auch.:)
xx

Melissa hat gesagt…

Der Text erinnert mich an meine Familienfeiern, schrecklich, mein herzliches Beileid ._. Aber wieder toll geschrieben (:

Anonym hat gesagt…

Weißt du, alles und jeden in deinem Umfeld zu hassen ist nicht besonders gesund und außerdem arrogant.
Du musst dich wohl wirklich für etwas Besseres halten - ich finde das abstoßend. Das wirst du vielleicht auch irgendwann verstehen, wenn du deine pubertäre die-Welt-ist-so-scheiße-zu-mir-Haltung ablegst. Solange du hasst, wird es auch immer Leute zum Hassen geben.
Und das macht dich nicht 'cooler' oder 'intelligenter', sondern einfach nur unsympathisch und kaltschnäuzig.

Melissa Amélie hat gesagt…

ich sehe schon, du weißt sehr viel über mich. gut das es immer leute gibt, die einen besser kennen als man selbst ;)

Pseudovision hat gesagt…

fateandbeauty, ach, du magst wohl immer alle leute, ja? und was, wenn die leute, die sich in deinem näherem umfeld, also familie und so, befinden, genau die sind, die dich am abartigsten behandeln? du würdest natürlich nie was schlechtes über sie sagen. - pass auf, irgendwo muss der frust raus, und wenn du mit familie und so nicht darüber reden kannst, weil es genau diese leute sind, dann halt im tagebuch. und dieser blog ist eine art tagebuch. weißt du, ich denke, wenn's dir nich gefällt, musst du's nicht lesen.
und ich glaube, das sieht melissa genauso, sowas muss sie sich echt nicht reinziehen, sorry.

melissa, ja. :DD
ich hab's grad gesehen, im face. werde auch gleich antworten. (:
ist ja nicht schlimm, aber ich dacht' schon, ich hätte was falsch gemacht oder so. :'o

love♥

losted hat gesagt…

jaaha. es ist echt nicht geil,seine verwandschaft um sich herum immer besoffener erleben zu müssen. besonders, wenn man dann noch von ekelhaften onkels angemacht wird. büaah.
wenn sich die verwandschaft treffen muss, können sie das ja gern machen, aber mich müssen die da echt nicht mithin schleppen. ♥

Liz hat gesagt…

oh gott, du arme!