ich lass dich im alten jahr

Ich bahne mir einen Weg durch die glotzende Menge, spüre jeden einzelnen Blick wie Messerstiche auf mir. Ich weiß nicht wo ich bin, doch mein Unterbewusstsein sagt mir, dass ich diesen Ort kenne. Die von ihm ausgehende Vertrautheit gibt mir eine unglaubliche innere Ruhe, ich fühle mich, als würde ich schweben. Irgendwo im Kern der Menge höre ich eine vertraute Stimme, sie ruft meinen Namen. Ich presse mich an den Schülern um mich herum vorbei, dringe bis zu dir durch. Du stehst auf einer kleinen Wiese und lächelst in meine Richtung, kommst auf mich zu. "Hallo, mein Engel", flüsterst du, als du vor mir zum Stehen kommst, und lächelst mich überaus herzlich an. Überrascht sehe ich dich an, runzle verwirrt die Stirn. "Ich denke du bist sauer?", frage ich und mustere dich von oben bis unten. Gott, siehst du perfekt aus. Du schüttelst den Kopf, "Nee, bin ich nicht mehr. Es hat sich vieles geändert." Deine Hand streichelt sanft über meine Wange, zu meinen Schläfen und wieder herunter zu meinem Kinn. Ich kann nicht anders, als leicht zu erschaudern und schließe die Augen, versuche mir das Gefühl von deiner Hand in meinem Gesicht einzuprägen. Deine Hand wandert zu meinen Armen, dann zu meinem Rücken, du ziehst mich zu dir heran und siehst mir in die Augen. "Zum Beispiel?", hauche ich in deine Richtung. "Ich treffe mich wieder mit meiner Ex. Ich hätte niemals gedacht, dass sie immer noch so geil aussieht", hauchst du zurück. Ich reiße abrupt die Augen auf, sehe dich vollkommen entgeistert an, "Was?!" Du lachst nur, berührst noch mal kurz meine Wange, "Das überrascht dich doch nicht etwa? Ich will doch auch meinen Spaß. Gönnst du mir das nicht?" Ich reiße mich von dir los, presse die Lippen aufeinander, um nicht schreien zu müssen, "Du betrügst mich?!" Du lachst ein schrecklich lautes Lachen. Es tut mir regelrecht in den Ohren weh. "Mach dich nicht lächerlich, Melli. Wir sind doch nicht zusammen. Ich hab dich doch noch nie geliebt." Alle um uns herum beginnen ebenfalls schallend zu lachen, jeder versucht den anderen zu übertönen. Plötzlich laufen mir unaufhörlich Tränen über die Wangen, sie brennen wie Feuer, lassen mich kaum noch atmen. Ich hole aus und schlage dir mit der geballten Faust ins Gesicht, doch du hörst nicht auf zu lachen. Du lachst einfach immer weiter. Bei mir dreht sich alles, mir wird kotzübel. Das Lachen um mich herum wird immer lauter, immer penetranter, bis es mich vollkommen verschlingt. "Dummes kleines Mädchen", lachst du, drehst dich um und gehst. Ich spüre nur wie meine Beine nachgeben und ich zu fallen drohe, rudere wie wild mit meinen Armen um mich, doch ich kann mich kaum bewegen. Ein tiefer Abgrund tut sich unter meinen Füßen auf, ich falle direkt hinein.

Mit einem lauten Schrei fahre ich nach oben, spüre, wie mir der Schweiß auf der Haut klebt. Keuchend fasse ich mir ins Gesicht, taste dann suchend um mich, und finde irgendwann den Knopf meiner Nachttischlampe. Das Licht sticht mir unerwartet grell in die Augen, ich ringe immer noch nach Luft. Ich reiße meine Bettdecke nach oben und flüchte aus meinem überhitzten Zimmer nach draußen, lasse die frische Luft tief in meine Lungenflügel dringen, und versuche, mich zu beruhigen. Als mein Herzschlag sich verlangsamt, schlurfe ich ins Bad, werfe mich einfach auf die kalten Fließen unter mir. Aber auch die kalte Dusche kann die Bilder in meinem Kopf nicht vertreiben. Das schallende Gelächter hallt immer noch in meinem Kopf wider.