ich lass dich im alten jahr

Nachdem ich zehn falsche Formeln auf das hässliche, viel zu leere Blatt vor mir gekritzelt habe, erhebe ich mich in Zeitlupe und lasse es langsam, und mit einem leidenden Gesichtsausdruck auf den Lehrertisch gleiten. "Ich hoffe, du hast mal mehr gelernt als sonst", quäkt meine Matheleherin mich an, rümpft hochnäsig ihre viel zu große Nase, "Deinen Leistungen entsprechend bekommt das Mathebuch dich ja nur selten zu Gesicht." Ich spiele kurz mit dem Gedanken, ihr mein ja ach so geliebtes Mathebuch über den Kopf zu ziehen, besinne mich aber dann doch eines Besseren und drehe mich, ohne noch etwas zu sagen, grummelnd um. Natürlich lerne ich nicht, nööö. Das ich  Tage davor bis Mitternacht verzweifelt versucht habe, wenigstens einen Teil des gesamten Stoffes in mein Hirn zu bekommen, interessiert sie ja gar nicht.

Am Ende der Stunde, und nachdem ich ungefähr tausend Tode gestorben bin, fliegt meine Mathearbeit wie ein Stück Klopapier auf meinen Tisch. Meine Mathelehrerin bedenkt mich mit ein paar Blicken, die es mir eiskalt den Rücken herunterlaufen lassen. "Willst du nicht wissen, was du hast?", fragt meine Freundin neben mir, betrachtet mich skeptisch, während ich stur an dem kleinen, so unschuldig aussehenden Blättchen vorbei starre. "Guck du, ich kann nicht. Ich will es nicht sehen", wimmere ich und lege mein Gesicht in die sichere Mulde zwischen meinen Armen und dem Tisch. Vorsichtig zieht sie die zwei Blätter, die wahrscheinlich meinen Tod bedeuten werden, zu sich hin. "Oh man Mel", meint sie nur. "Was?", meine Stimme ist nur ein Krächzen. "Die selbe Note wie ich." Weil ich ja auch weiß, was du hast, ich zerre das Blatt zu mir hin. Die kleine Ziffer sticht mir leuchtend rot ins Gesicht, schreit mich regelrecht an. 6. Oh Shit.