#75

H. und ich lassen uns auf der Mauer gegenüber vom Schultor fallen. Ich verschrenke meine Beine zu einem Schneidersitz, krame in meiner Tasche nach meinem Ipod. Sie sitzt ebenfalls im Schneidersitz dicht neben mir, als sie verächtlich schnaubt, blicke ich verträumt auf. Ich folge ihrem Blick und treffe auf Nora und die Jungs unserer Klasse, die alle in einem Kreis um sie herum stehen. In der Mitte ertönt ein schrilles Kichern, die Jungs stimmen in ihr hässliches Lachen ein, benehmen sich wie vollkommene Idioten, obwohl ich wette, sie wissen noch nicht mal, was so lustig ist. Mich wundert es wirklich, dass ihnen noch nicht der Sabber läuft. H. schnaubt wieder, "Das ist doch echt..." "Notgeil und widerlich", beende ich ihren Satz. Mein Blick wandert zurück zu meiner Tasche, ich beginne wieder mit wildem durchwühlen. "Was finden die an dieser Bitch bloß?", knurrt H. neben mir und ich sehe aus den Augenwinkeln, dass sie wütend mit den Fersen gegen die Mauerwand tritt. "Lässt sich gut knallen", helfe ich ihr auf die Sprünge, kippe den Inhalt meiner Vordertasche auf meinem Schoß aus. Als ich endlich meinen Ipod finde, halte ich ihn triumphierend in die Luft, um mir kurz darauf einen verständnislosen 'Bleib doch mal beim Thema'-Blick einzufangen. Als ob mich interessiert, was dieses Mädchen treibt. "Tom ist auch da", wimmert H. plötzlich leise. Ich sehe sie an und merke, dass ihre Augen sich langsam mit Tränen füllen, blinzelnd sieht sie auf ihre Finger. Ich rutsche näher an sie heran, "Ach Süße...", ich lege einen Arm um sie. "Ich dachte, er liebt mich", sie schluckt, "Nicht sie." "Mensch Maus, nicht weinen. Der ist deine Tränen gar nicht wert. Was willst du denn mit so einem? Dieses Flittchen schnippt nur mit den Fingern und er kommt hechelnd angerannt, wie irgendein Köter. Er hat so ein wundervolles Mädchen wie dich gar nicht verdient", sage ich und streiche mit meiner Hand über ihren Rücken. Ein leichtes Lächeln huscht über ihre Lippen, ich streiche ihr sanft eine Träne ab, welche sich versucht, über ihre Wange zu stehlen. "Alles gut?", frage ich vorsichtig, lächle sie mitfühlend an. Sie nickt langsam, "Bin gleich wieder da", und verschwindet im Schulhaus.

Ich stöpsle mir meine Kopfhörer in die Ohren und bin gerade dabei, ein Lied auszuwählen, als jemand neben mich tritt und sie mir sanft herauszieht. Ich blicke auf und sehe direkt in deine grünen Augen, kann nicht verhindern, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Du lächelst mich mit diesem Lächeln an, das ich so liebe, "Alles klar?" Ich vergesse für einen Moment, dass ich ja sauer auf dich bin und will gerade deine Hand nehmen, fange mich aber wieder. "Alles bestens", murre ich und will mir die Kopfhörer wieder in die Ohren stecken, aber du nimmst sie mir weg. "Was hast du?", fragst du, siehst mich misstrauisch an. "Nichts", sage ich ein wenig zu spitz, starre aber weiter meine Tasche an. Du setzt dich neben mich, dort hin, wo kurz davor H. gesessen hat, "Das sehe ich. Sagst du mir bitte, was ist?" Ich funkele dich wütend an, "Ich hab Gestern Abend gewartet, sehr lange. Doch du bist nicht gekommen. Und an dein Handy bist du auch nicht gegangen." "Shit. Tut mir leid. Ich hab ganz vergessen, dir zu sagen, dass ich schon was vor hatte", du kneifst die Augen zusammen, als würdest du versuchen, dich an eine schwierige Mathe-Aufgabe zu erinnern. "Und das war was?", frage ich, immer noch wütend. "Ich war mit den Jungs feiern", sagst du, als wäre es ganz normal und vollkommen okay, so, als hätte ich nicht eine Ewigkeit auf dich gewartet. "Sry", sagst du. "Ah", mache ich nur und sehe dich vollkommen entgeistert an, muss mich zusammen reißen, dass ich dir nicht gleich den Kopf abreiße. Du bemerkst meine Wut, rutscht näher zu mir und drückst mich an dich. Ich will mich dir entreißen, doch schon drückst du deine Lippen auf meine. Mit aller Kraft versuche ich, mich gegen die scheiß Schmetterlinge in meinen Bauch zu wehren, würde sie am liebsten auskotzen. Doch als du mit deiner Hand mein Gesicht berührst, ist es mit meiner Fassung vorbei. Ich schlinge meine Arme um deinen Hals und ziehe dich näher an mich heran, wuschle durch deine Haare und erwidere den Kuss. Als du dich schließlich von mir löst, beginnst du laut zu lachend und streichst mir durch die Haare, "Deine Stimmungsschwankungen sind echt unglaublich. Erst siehst du mich an, als würdest du mich am liebsten auf den Mond schießen und dann küsst du mich, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen." "Haha", mache ich nur, blicke trotzig auf die Steine. Ich hasse mich dafür, dass ich dir nie, aber auch wirklich niemals wiederstehen kann. "Ich muss gehen", sagst du und siehst wieder zu den Jungs. Sofort kommt meine Wut wieder hoch, "Tschüss", knurre ich nur. Du drückst mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und murmelst im Gehen ein "Tut mir wirklich leid." "Jaja, ich sehs", murre ich dir hinterher, halte mich zurück, dir nicht den Mittelfinger zu zeigen.