#58

"Kommst du?", ruft Anneli mir im rausgehen zu. "Ich komm' gleich", entgegne ich und ziehe mir schnell etwas anderes an. Ich verweile kurz vor dem Spiegel und betrachte mich, kann mir ein abwertendes Seufzen nicht verkneifen. "Du siehst toll aus", versichert sie mir, als sie meinen verunsicherten Blick bemerkt. "Ja klar", maule ich, "Ganz bestimmt." Sie kommt näher, knufft mich leicht in die Seite, "Du bist so doof, Mel! Tu nicht immer so, als wärst du hässlich. Du bist beneidenswert schön", lächelt sie. 'Da hab ich ja aber auch schon glaubwürdigere Lügen von dir gehört, Schatz', liegt mir auf der Zunge, ich verkneife es mir aber. Mit einem Augenverdrehen schnappe ich mir mein Zeug und folge ihr in den Flur. Nach 5 Minuten verzweifelten Wühlens nach dem Haustürschlüssel in meiner Tasche, gebe ich schließlich stöhnend auf. "Suchst du zufällig den hier?", kichert Anneli und wirft mir den Schlüssel zu, der auf der Flurgarderobe gelegen hatte. Schmunzelnd will ich die Tür öffnen, als ich von dem Schnauben meiner Mutter zurückgehalten werde. "Du kannst jetzt nicht gehen", sagt sie kalt, "Du musst hierbleiben." Genervt drehe ich mich zu ihr um, "Ich wüsste nicht, wieso." Ihr Gesichtsausdruck verhärtet sich, "Du musst auf deine Schwester aufpassen, ich muss nochmal weg." "Ja klar, weg. Zu dem Penner nehme ich an", murre ich. Ich sehe die Wut in ihr aufsteigen, mache mich schon auf das schlimmste gefasst, aber sie kommt nur näher zu mir und sieht mich voller Hass an, "Ich sagte, ich muss nochmal weg. Warum, geht dich einen Scheißdreck an! Und wann ich wieder komme, weiß ich noch nicht. Lass dich überraschen." Genervt sehe ich sie an, kneife meine Augen zusammen. Sie dreht sich um und stolziert wieder in Richtung Tür, "Sei froh, dass ich dir überhaupt noch erlaube, irgendjemanden hierher einzuladen", sagt sie und wirft Anneli ein paar abwertende Blicke zu, bevor sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen lässt. "Autsch", murmelt Anneli betont und sieht mich entsetzt an. Ich nicke nur, willkommen in meinem Leben.